Sicherheit beim Hangflug – Das Konzept der Auftriebsreserve
Eine alte Fliegerweisheit, die ich irgendwo in den USA aufgeschnappt habe, fasst es auf den ersten Blick ganz gut zusammen. Sie geht etwa so: „Die wichtigsten drei Dinge im Flug sind Fahrt, Höhe, und ein Plan. Um zu überleben, brauchst du immer mindestens zwei von diesen drei Dingen.“ Jeder Segelflieger, der gelernt hat, konsequent ohne den Luxus „Höhe“ auszukommen, zum Beispiel beim Manövrieren am Hang, kennt die Wichtigkeit der übrigen zwei Faktoren: Ausreichende Fahrtreserve ist natürlich essentiell, und ohne einen Plan, der ihn auf jedes Ereignis sofort richtig reagieren lässt, geht es auch nicht. Doch was genau steckt hinter diesem „Plan“, und wie kann er helfen, wenn die lebenswichtige Fahrtreserve alleine plötzlich nicht ausreicht? Es lohnt sich, diese Frage einmal aus flugmechanischer Sicht zu beleuchten.
Fahrt und Auftriebsreserve: Ist das nicht das gleiche?
Da verständlicherweise nicht alle Leser scharf darauf sind, mathematische Formeln auseinanderzupflücken, gibt es in diesem Artikel einen separaten Mathe-Teil. Im Text verweise ich manchmal auf die dortigen Formeln, aber die wichtigen Schlussfolgerungen sind natürlich hier zu finden. Beginnen wir gleich einmal mit einer Formel: Der Auftriebsgleichung (1). Diese stellt den „Soll-Auftrieb“ auf der linken Seite gegenüber mit dem „Ist-Auftrieb“, den der Flügel aktuell leistet. Modifizieren wir als Pilot den „Ist-Auftrieb“ auf der rechten Seite, indem wir durch Ziehen und Drücken des Höhenruders den Auftriebsbeiwert des Flügels verändern*, dann weicht das Lastvielfache auf der linken Seite der Gleichung vorübergehend von seinem Grundwert (im Geradeausflug Wert „1“) ab, da ja beide Seiten gleich bleiben müssen. Die Flugbahn neigt sich dann nach oben oder unten, so dass sich die Fahrt ändert bis das Gleichgewicht zwischen Auftrieb und Gewicht wieder hergestellt ist. Mit dem Lastvielfachen als dehnbarem Lückenfüller bleiben „Soll“ und „Ist“ im normalen Flug immer von selbst balanciert.
Sehen wir uns einmal an, welche Einflussgrößen wir im Flug steuern können. Die Flugmasse und die Gravitation auf der linken „Soll“-Seite: eher nicht. Auf der rechten „Ist“-Seite die Flügelfläche und die Luftdichte: auch nicht. Besser sieht es schon mit dem Auftriebsbeiwert aus, den wir mit dem Höhenruder durchaus beeinflussen können. Aber nun kommt eben das große Problem: Der Auftriebsbeiwert hat eine obere Grenze, an der sich nicht rütteln lässt. Wenn wir ganz ehrlich sind, bleibt uns auf der rechten Seite also nur noch die Fahrt als echter „Freiheitsgrad“. So wird aus der Gleichung eine Ungleichung (2): Der erforderliche Auftrieb auf der linken „Soll“-Seite muss jederzeit kleiner sein als der, denn die rechte „Ist“-Seite bei der aktuellen Fahrt maximal leisten kann.
Um daraus einen einfachen, kompakten Schluss zu ziehen, müssen wir aufräumen und verschmelzen deshalb alle Größen, an denen wir sowieso nichts ändern können (und dazu gehört auch der maximale Auftriebsbeiwert), in den Faktor „K“. Der Zahlenwert von „K“ ist ab jetzt egal – wer möchte, kann ihn sich ja ausrechnen. Wichtig ist nur, dass er sich nicht ändert. Formel (3) ist die aufgeräumte und etwas umgestellte Version der vorherigen Ungleichung, und sie zeigt exakt, was mit dem Ausdruck „Auftriebsreserve“ gemeint ist: Sie betrachtet das Verhältnis der Geschwindigkeit (im Quadrat) zum Lastvielfachen. Dieses Verhältnis muss stets größer sein als unser fester Wert „K“. Je näher wir uns „K“ von oben annähern, desto geringer ist die Auftriebsreserve. Wird „K“ unterschritten, dann ist das Auftriebskriterium nicht mehr erfüllt. Beim nun unweigerlichen Strömungsabriss beginnt das Flugzeug nicht nur zu fallen, sondern es verliert auch noch seine Steuerbarkeit.
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